200. Geburtstag, Bruckner, Tritonus

 

Sams­tag, 09. 03. 2024, 19.30 Uhr
Con­gress Cen­ter Baden

Brün­ner Phil­har­mo­ni­ker

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Anton Bruck­ner – die 8. Sym­pho­nie

„Unser Kai­ser bekam damals den Besuch des Cza­ren in Olmütz; daher Strei­cher: Ritt der Kosa­ken; Blech: Mili­tär­mu­sik; Trom­pe­ten: Fan­fare, wie sich die Majes­tä­ten begeg­nen.“

- „Wenn am Ende (des ers­ten Sat­zes) die Trom­pe­ten nur den Rhyth­mus des Haupt­the­mas Bla­sen: das ist die Toten­uhr“.

Diese zwei authen­ti­schen Aus­sa­gen Bruck­ners umrei­ßen die Band­breite sei­ner Monu­men­tal­sym­pho­nie. Aber ers­tens: In wie­weit – und zwei­tens: Muss man der­glei­chen wis­sen, um die­ser „VIII.“ nahe zu kom­men – und was soll unser­eins im 21. Jahr­hun­dert damit anfan­gen?

Nun, löst man als Initi­al­wör­ter der bruck­ne­ri­schen Aus­sa­gen die Begriffe „Welt­li­ches Gepränge“ und „memento mori – gedenke des Todes“ her­aus, so lässt sich damit ganz sicher über die Zei­ten und Epo­chen viel damit anfan­gen. Denn sie beschrei­ben genau jene Ele­mente einer eben über Zei­ten und Epo­chen hin­weg zu beob­ach­ten­den öster­rei­chi­schen, from­men Lebens­art – der „pie­tas Aus­triaca“ – seit dem Spät­mit­tel­al­ter bis weit ins 20. Jahr­hun­dert gelebt von Men­schen aller Gesell­schafts­schich­ten. Und diese ver­ei­nigt in sich die drei „Künste“ des im Leben-sein-Kön­nens: die „ars vivendi“, die Lebens­kunst, das Bestehen in den Anfor­de­run­gen des welt­li­chen Daseins; die „ars mori­endi“, die Kunst des seli­gen Ster­bens im Ver­trauen auf die Güte Got­tes; beide ver­ei­ni­gen sich in der Ver­an­ke­rung in der „ars cre­dendi“, der Kunst des Glau­bens an Got­tes Ver­hei­ßung. Letz­te­res bedeu­tet kei­nes­wegs einen Glau­ben ohne Fra­gen – ganz im Gegen­teil; diese Kunst will von Anfang an erst ein­mal gelernt, aber dann über­prüft, geschärft, ja sogar in Frage gestellt wer­den.

Bruck­ner hat sich lebens­lang mit den Gege­ben­hei­ten sei­nes katho­lisch-christ­li­chen Glau­bens beschäf­tigt – beson­ders intim in den wun­der­ba­ren, inhalts­rei­chen und musi­ka­lisch so ein­zig­ar­ti­gen Motet­ten, mit denen er sein gan­zes Leben hin­durch sich und den Zuhö­ren­den Rechen­schaft gibt über das, was da zu glau­ben sei.

Es wurde und wird immer wie­der sehr viel dar­über nach­ge­dacht und spe­ku­liert, ob und wie­weit auch in Bruck­ners Sym­pho­nien „Spi­ri­tu­el­les“ kom­po­niert und hör­bar gemacht wor­den ist. Frei­lich lässt sich dazu sagen und fra­gen, warum denn ein gläu­bi­ger Mensch in sei­ner Arbeit nicht in den Kri­te­rien sei­nes Glau­bens ver­an­kert sein sollte? Wie soll­ten diese also inner­halb des weit­ge­steck­ten Rah­mens die­ser sei­ner „VIII.“ nicht auch zu fin­den sein?

Wie sollte denn eine fast allen Räu­men und Zei­ten ent­zo­gene Musik wie das „Trio“ im zwei­ten Satz und die dritte The­men­gruppe im drit­ten – beide durch Har­fen­klänge beson­ders deut­lich gemacht – gehört und gedeu­tet wer­den?

Musik, wel­cher Bruck­ner einen ein­zig­ar­ti­gen und nur hier gül­ti­gen Klang zuteilt, weil er grund­sätz­lich der Ansicht war, dass die Harfe nicht ins Sym­pho­nie­or­ches­ter passt. Die Aus­nahme – bestä­tigt sie nicht das Beson­dere – wie immer ein Mensch gemäß sei­ner Glau­bens- und Denk­weise der­glei­chen benen­nen mag? Selbst­re­dend sind seine Sym­pho­nien keine geist­li­che Musik, wohl aber geis­tige. Bruck­ner war sich voll bewusst, dass er von Gott ein Talent bekom­men hat so und nur so zu kom­po­nie­ren, wie er es gegen­über sei­nem Freund und Beicht­va­ter Joseph Klu­ger, Augus­ti­ner Chor­herr in Klos­ter­neu­burg aus­sprach. Und die­ses Talent sollte und wollte er als Sym­pho­ni­ker – wohl­ge­merkt nicht als Kir­chen­mu­si­ker – ver­wirk­li­chen. In sym­pho­ni­schen Wer­ken, wel­che die­ses Talent auf die höchste Probe stel­len, es befra­gen. Von der „I.“ bis zur „VIII.“ ist dies ein acht­fa­cher Umgang um den Brun­nen­quell reli­giö­ser Erkennt­nis, wo sich stets andere Wel­ten glei­cher Qua­li­tät – Lebens­wel­ten – auf­tun und zu Klän­gen wer­den.

Ist dies schon erstaun­lich genug, so wird es nach­ge­rade schau­er­lich sein, wie Bruck­ner nach der „VIII.“ aus die­sem Rund­gang aus­bricht und in der „IX.“ ein Nie­mands­land – auch eines der Schre­cken – betritt.

Was hätte er denn auch nach den Uni­ver­sa­li­tä­ten von acht sym­pho­ni­schen Betrach­tun­gen noch sagen kön­nen?

Die „VIII.“ ist in der Tat als die längste seit der „I.“ ein Schluss­punkt sowohl in struk­tu­rell-künst­le­ri­scher, als auch in geis­ti­ger Hin­sicht. Ja viel­leicht viel mehr: Eine Schwelle, über die man ers­tens nicht mehr zurück­ge­hen kann und die zwei­tens ins abso­lut Unge­wisse führt.

Seit der „II.“ gelingt es Bruck­ner immer wie­der, den gan­zen sym­pho­ni­schen Zyklus so an sein jewei­li­ges Ende zu füh­ren, dass an eben die­sem Ende das Thema des ers­ten Sat­zes wie­der erklin­gen muss, weil Jesu Wort gemäß einem gläu­bi­gen Men­schen nichts ver­lo­ren gehen darf und wird. Es sind jeweils andere logi­sche Wege, auf wel­chen von der „I.“ bis zur „VII.“ solch ein Schluss gefun­den wird; ein Schluss der alles, was vor­her war in die von ihm ver­klang­lichte Hoff­nung mit ein­be­zieht. Aber in der „VIII.“ ist dies nur mehr mit Bra­chi­al­ge­walt mög­lich und im Klang­brei ful­mi­nan­ten Lärms! Bruck­ner war zu Recht glück­lich dar­über, dass es ihm gelun­gen war, am Ende des Fina­les erst­mals in einer sei­ner Sym­pho­nien die Haupt­the­men gleich aller vier Sätze in Gleich­zei­tig­keit über­ein­an­der zu schich­ten. Es kann aber dar­über nicht hin­weg­ge­hört wer­den, wie sehr diese vier The­men melo­disch „abge­nagt“ wer­den müs­sen bis auf die rhyth­mi­schen Kno­chen, damit sie ein Gemein­sa­mes erge­ben. Gerade für das Haupt­thema bedeu­tet dies, dass es in die­sem ful­mi­nan­ten Über­ein­an­der letzt­lich nicht viel anders erklingt als wie im ers­ten Satz, wo Bruck­ner von der „Toten­uhr“ spricht.

Dass diese dann letzt­lich zur glei­chen Zeit schlägt, da die Trom­pe­ten des Kai­ser­tref­fens dröh­nen und das sanfte Thema des drit­ten Sat­zes sich mühe­voll im Lärm bemerk­bar zu machen sucht, wäh­rend zudem noch das skur­ril-lebens­frohe Scherzo-Haupt­thema sein Recht ver­langt, das ist den­noch und alle­mal eine mit aller mensch­lich-geis­ti­gen Kraft­an­stren­gung noch­ma­lige ver­klang­lichte Bestä­ti­gung der Lebens­künste der „pie­tas Aus­triaca“: näm­lich jener „ars mori­endi“, wel­che das nach­ge­rade banale Wis­sen, dass alles irdi­sche Leben in ein Ende mün­det, wei­ter­denkt. Aber wie und was denkt Bruck­ner hier wei­ter? In der vol­len Ein­tracht des Uni­sono into­niert das gesamte Orches­ter zuletzt in vol­ler Laut­stärke den Rhyth­mus der „Toten­uhr“. So stürzt das Werk letzt­end­lich ganz gemäß den von Bruck­ner hoch gehal­te­nen und gelehr­ten Grund­sät­zen der Musik­theo­rie ins Ato­nale ab! Denn es erklingt keine ton­art­be­stim­mende Terz!

Das Thema des ers­ten Sat­zes hat sich durch­ge­setzt, sich wie­der in Szene – in letzte Szene – gesetzt. Wes­sen Tri­umph ist dies? Bruck­ner wird keine Ant­wort mehr geben, mit der schreck­lich-neuen „IX.“ schon über­haupt nicht, deren Finale er nicht voll­enden konnte, oder soll man viel­leicht nicht bes­ser sagen: nicht durfte?

Nein: In der Tat, Bruck­ner war nie from­mer Ant­wort­ge­ber; aber ist er von der „I.“ bis zur „VII“. ein immer wie­der aufs Neue fromm Fra­gen­der, so ist er in der „VIII.“ – nun was? Was er bis zur „VII.“ geleis­tet hat, das war in der „VIII.“ nicht mehr zu leis­ten; der Gewalt­akt der Über­ein­an­der­schich­tung der vier Haupt­the­men macht beim genauen Hin­hö­ren das viel­leicht viel deut­li­cher als es diese Tat­sa­che zu ver­schlei­ern ver­mag. Gerade das hier offen­bar wer­dende höchste künst­le­ri­sche Kön­nen ent­schlei­ert!

Mit Bruck­ner kann im Sinne der von ihm geleb­ten pie­tas Aus­triaca“ gesagt wer­den: Das ihm von Gott geschenkte Talent for­dert den Kom­po­nis­ten auch dazu auf, auf der Basis eben die­ses Talen­tes bis­her erkann­tes hin­ter sich zu las­sen, in der Hoff­nung, auch ange­sichts einer sich dann ankün­di­gen­den Hoff­nungs­lo­sig­keit in der Kunst der „ars cre­dendi“ nicht zu ver­sa­gen.

Gewid­met hat Bruck­ner seine „VIII.“ Kai­ser Franz Joseph I., „der höchs­ten irdi­schen Majes­tät, wel­che ich erkenne“, wie der Kom­po­nist selbst aus­drückte. Bruck­ner, als Hof­or­ga­nist Mit­glied der Kai­ser­li­chen Hof­ka­pelle, stand das durch­aus an. Und es war ja nicht ganz so, wie es oft kol­por­tiert wird, dass Franz Joseph gänz­lich unmu­si­ka­lisch gewe­sen sei. Mehr­fach wird berich­tet, dass der Mon­arch erfreut vor sich hin­sagte „ah, der Bruck­ner!“ sagte, wenn er eben die­sen zur Messe in der Burg­ka­pelle oder beim Leo­pol­di­fest in der Stifts­ba­si­lika Klos­ter­neu­burg die Orgel spie­len hörte. Er war dem­nach kein die­sem Werk unwür­di­ger Wid­mungs­trä­ger.

Und über­dies: Es nützt ja doch nichts, wir alle, die wir Bruck­ners Musik zuhö­ren – müs­sen wir nicht selbst die­ser wür­dig wer­den, um vor uns selbst wür­dig zu sein? Indem wir uns dar­auf ein­las­sen, was sich trotz der ange­wand­ten künst­le­ri­schen Kräfte gar nicht mehr ver­ber­gen kann: Auf Bruck­ners klang­ge­wor­dene gläu­bige Ein­sicht, dass ein vor­ge­täusch­tes tri­um­pha­les Ende kein Ende, son­dern ein Abglei­ten ist. Wohin? – das soll und muss der Mensch nach sei­nem eige­nen Den­ken und Glau­ben selbst ent­schei­den – allent­hal­ben mit Hilfe Bruck­ners.

Johan­nes Leo­pold Mayer